Widerruf E-Commerce

 

Aktuell aus meiner Praxis: Der Begriff des „Coachings“ ist leider nicht rechtlich in Deutschland geschützt und daher nimmt die Zahl der unechten Coaching-Vertragsfallen zu. Hier begegnen uns immer häufiger Fälle, in denen Verträge und Geschäftsmodelle dazu genutzt werden, unerfahrene Existenzgründer mit vollmundigen Business-Trainings „Masterclass E-Commerce Training“ und Werbeversprechen, in kostspielige, langfristige Knebelverträge zu locken. Ein kürzliches Beispiel aus meiner Praxis zeigt, wie sich Betroffene erfolgreich gegen solche Forderungen zu wehren, wenn sie rechtzeitig widerrufen oder wegen Täuschung bei Vertragsschluss den Vertrag anfechten und im Streitfall qualifizierte anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Meine Mandantin wurde von einem Unternehmen aufgefordert, Zahlungen für einen vermeintlichen Coaching-Vertrag „Masterclass E-Commerce Training“ zu leisten. Nach einer gründlichen Prüfung stellte sich jedoch heraus, dass es sich nicht um ein echtes Coaching, sondern lediglich um einen Videokurs ohne individuelle Beratungsleistungen handelte. Außerdem hatte sie keine Rücklagen für das nötige Startkapital, um die im Training empfohlenen weiteren Werbeanzeigen zu schalten. Dies war für den Verkäufer erkennbar, sonst hätte er nicht einem so langfristigem Ratenzahlungsvertrag zugestimmt. Solche Verträge, die oft durch irreführende Versprechen und Überrumpelung in einem „kostenlosen Strategiegespräch“ zustande kommen, sind rechtlich anfechtbar, wenn der Widerruf oder die Anfechtung rechtzeitig erklärt werden oder wegen weiterer Mängel für nichtig zu erklären.

Wichtige Aspekte im Fall meiner Mandantin waren unter anderem, dass Existenzgründer, die zum Zweck der Aufnahme ihres Gewerbes einen Ratenlieferungsvertrag abschließen nach § 513 i.V.m. §§ 492-512 BGB ein 14tägiges Widerrufsrecht zusteht und die Tatsache, dass das Masterclass E-Commerce Training in seiner Struktur einem Ratenlieferungsvertrag ähnelte. Auch ein Verzicht auf das Widerrufsrecht, wie es einige Anbieter auf Vertriebs-Plattformen wie beispielsweise copecart.com oder digistore24 u.a. vorsehen, dürfte hier wegen des Umgehungsverbots nach § 512 BGB unwirksam sein, soweit derartige Videolernkurse Vertragsgegenstand sind. Die Rechtssprechung wendet diese Regelungen auch auf Franchiseverträge an, um Existenzgründer mit einer Überlegungsfrist und notfalls 14tägigem Widerrufsrecht ähnlich Verbrauchern bei Verbraucherkreditverträgen vor Überrumpelung zu schützen.

In diesem Zusammenhang sind aktuell zwei neue Urteile interessant: Zum einen ist das Urteil des OLG Stuttgart vom 29.08.2024 (Az. 13 U 176/23) hervorzuheben. Dieses stellt klar, dass auch reine Online-Videokurse, die ohne synchrone Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden angeboten werden, als zulassungspflichtiger Fernunterricht im Sinne des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) anzusehen sein können und diese Verträge nicht nur auf Verbraucher, sondern auch Unternehmer anwendbar ist, da kein Grund ersichtlich ist, warum diese im Falle von für sie ungeeignetem Fernunterricht in kostspielige, langfristige Verträge ohne Widerrufs- oder Kündigungsrecht gezwungen werden dürfen.

Ein weiteres aktuelles Urteil zu unechten Coaching-Verträgen stammt vom 13. Senat des OLG Celle (Hinweisbeschluss vom 29.05.2024, Az. 13 U 8/24). Der 13. Zivilsenat des OLG Celle stellte ebenfalls klar, dass der Schutz des FernUSG nicht nur für Verbraucher, sondern auch für bildungswillige Unternehmer gilt. Der Senat betonte, dass es keinen Grund gibt, Existenzgründer vom Schutz vor Überrumpelung und Übervorteilung auszunehmen, selbst wenn sie als Unternehmer handeln.

Dieser Auffassung stehen jedoch auch Urteile des OLG Hamburg vom 20.02.2024 Az. 10 U 44/23, Landgericht München I Az. 29 O 12157/23 Urteil vom 12.12.2023 und OLG Köln Urteil vom 6.12.2023 Az. 2 U 24/23 gegenüber, die in den dortigen Fällen von überwiegend persönlichen Coaching-Leistungen ausgegangen sind und das FernUSG nicht für anwendbar gehalten haben. Die insoweit widersprüchlichen Auffassungen der verschiedenen Gerichte wird somit der Bundesgerichtshof zu klären haben. 

Wenn Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden oder Fragen zu einem möglicherweise unrechtmäßigen Vertrag haben, stehe ich Ihnen gerne anwaltlich zur Seite. Kontaktieren Sie mich.